Marlene Burz
Carla Domenech
Simon Eichmann
Frauke Joana
Allegra Kortlang
Dorina Lahrmann
Max Nieberding
Juan Camilo Roa
Liz Rusche
Lucia Jost
Frank Schumacher
Shirin Esione
Fiona Teal
Katrin Theissen
Michael Schmidts Fotografien sind ihrer Zeit verhaftet und zugleich voller aktueller Bezüge. In der Auseinandersetzung mit seiner fotografischen Praxis entwickelte eine Projektgruppe im Fachbereich Fotografie am Lette Verein Berlin eigene Konzepte und fotografische Serien, deren Bildästhetik und Bildinhalte unmittelbar auf unsere aktuelle politische und gesellschaftliche Situation verweisen.
Die unterschiedlichen Antworten auf Schmidts Arbeiten machen es somit auch möglich, sein fotografisches Werk gleichsam mit neuen Augen zu sehen. Mit Unterstützung der Kunstvermittlung des Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin entstand eine Zeitung als Begleitheft der Ausstellung „Michael Schmidt – Retrospektive. Fotografien 1965–2014“.
Die Bilder dieser Auseinandersetzung zeigt das SOX als großformatige, hinterleuchtete Fotografien in einer wöchentlich wechselnden Ausstellungsreihe.Die Weiterführung des Projekts hinein und zurück in den öffentlichen Raum erfüllt auf diese Weise eine Aufgabe, die Michael Schmidt der Fotografie zusprach.
Unser besonderer Dank gilt Birgit Effinger, Claudia Ehgartner, Julia Marquardt, Frank Schumacher und Markus Strieder.
1.
Simon Eichmann
2.
Juan Camilo Roa
Antwort auf „Berlin nach 45“ (1980) von Michael Schmidt
Baustelle vom „House of One“ in Berlin-Mitte
3.
Shirin Esione
„Die berufstätige Familie in Berlin-Mitte, 2020“
Nigerianisch-Deutscher Alltag im Herzen von Berlin
4.
Marlene Burz
auf·rüs·ten/’aufrYstn/a.früsten
schwaches Verb1.1.
die Rüstung verstärken
„alle Länder der Region rüsten auf“
1.2.mit einer Streitmacht, mit bestimmten Waffen versehen
„ein Land [atomar] aufrüsten“
Waffenruhe ist ein Zustand des Innehaltens, des Abwartens. Ohne Bewegung wird die bestehende Situation festgehalten. Als Abmachung herrscht Frieden. Schmidts Waffenruhe zeigt klar verständliche Ansichten, einen bestimmten Zustand in der Stadt. Die Serie scheint eine Bebilderung von Geschichten zu sein, die allerdings nicht meine eigenen sind. Wie eine plötzlich miteinander geteilte Erinnerung, die sich nicht fremd anfühlt. Ich erkenne auch das mir bekannte Berlin. Komisch ist nur, dass damals ein breiter Streifen Mauer die Stadt teilte. Schmidt fotografierte genau diese entstandene Lücke. Er zeigt sie in ihren stillen, nicht offensichtlichen Einblicken. Kleine Details gewinnen an Wichtigkeit, um das Drumherum zu verbildlichen. Was bleibt, ist ein Gefühl, irgendwie traurig, aber greifbar. Genau dieses Gefühl kann ich heute noch in Berlin empfinden. Es wird mehr und mehr durch eine Art Buntheit übertönt. Diese der Stadt eigene Stimmung lässt sich in neu erzeugten Szenerien wiederfinden. Sie zeigen mir ein eigenständiges Gemisch aus menschlichen Ambitionen, großstädtischen Materialien, Sand und der Natur, welche sogleich ihre Möglichkeiten zur Rückeroberung wahrnimmt. Die Aktualität der Arbeit Waffenruhe sehe ich in diesen festgehaltenen Nebensächlichkeiten. Sie bietet mir einen nachvollziehbaren Zugang zu der Geschichte dieser Stadt und bestätigt die stoische Beständigkeit jener Zwischenorte, die sich die Stadt stetig erhält. Ein Gefühl von Aufbruch und gleichzeitiger Ohnmacht, das mich als Voyeurin zurücklässt. Aus dieser Perspektive verstehe ich meine Serie aufrüsten als Akt der Mobilmachung. Meine Arbeit zeigt diese neuen, scheinbar übersehenen Orte, die ohne Zweck und ohne Aufmerksamkeit neben uns her leben und stoisch den Veränderungen trotzen.
5.
Liz Rusche
Für Michael Schmidt ist die fotografische Arbeiteine objektive, emotionsfreie Wiedergabeder Realität, wie sie das menschlicheAuge wahrnimmt. Dies erlaube eine gänzlichneutrale Sicht auf die Dinge und verhinderesubjektive Assoziationen und Gefühle. So zeigter in seinem Projekt Stadtbilder scheinbarunscheinbare, leere Orte und füllt sie mitLeben.Ich glaube, um Orte zu fotografieren,muss man sie nicht nur sehen, sondern auchfühlen können. Klar ist, dass keine Fotografiejemals vollkommen objektiv sein kann, währendhinter der Kamera ein Subjekt steht. Soantworte ich als zeitgenössische Fotografinauf Schmidts Philosophie und gehe in meinerSerie einen Schritt weiter; bilde die komplexeGroßstadt ab, mit einem Blick, der sich, wieauch seine Umgebung, ständig verändert undweiterentwickelt.
6.
Dorina Lahrmann
FRAU RISS, Antwort auf: Die berufstätige Frau in Kreuzberg (1975)
Sie hasten durch viel zu kurze Tage mit viel zu langen Listen und
jonglieren dabei mit vielerei Verantwortung für andere, während gleichzeitig die Stimmen im Kopf immer lauter werden. Frau erkennt einen Riss in der Wirklichkeit und steigt aus. Sie ist müde.
7.
Allegra Kortlang
b2020
8.
Lucia Jost
FREI-HEIT? Eine Antwort auf Michael Schmidts EIN-HEIT (1991-1994)
In den letzten 100 Jahren ist viel passiert in diesem fucking Schland. „FREI-HEIT?“ ist eine Auseinandersetzung mit der deutschen Identität. Es ist eine Reise durch die Zeit. Wie ist der innere und äußere Zustand, des deutschen Individuums von heute? Wieviel Vergangenheit steckt in uns? Fotos aus den Alben meiner Großeltern treffen auf meine eigene Jugendsubkultur. Deutsch sein? Was heißt das schon… Nachdem unsere Eltern für Akzeptanz und ein Ende des Spießertums gekämpft hatten, versprachen sie uns die große Freiheit. Und nun? War sie das etwa schon? Die Zerrissenheit meiner Generation zwischen Konsum und Rebellion, zwischen Wut und Langeweile wird in meiner Bildserie thematisiert, und in der Bildsprache von Michael Schmidt wiedergegeben.
9.
Carla Domenech @krlalouise
Urknall im Supermarkt
Eine Unendlichkeit von Leckereien schwebt in unserer Nahrungsgalaxie herum.Ein paar rufen um Hilfe, andere halten sich fest an Aspik.Ein paar Zuckerplaneten wurden schon vom Menschen schnabuliert, andere Schmelzscheiben sehen Ihrem Schicksal noch entgegen.Aber wieso sind solche Produkte noch Teil unseres Alltags? Machen schöne Farben, lustige Formen und knackige Slogans unser Essen appetitlicher? Sie bestechen uns, betrügen uns, und täuschen unseren Geschmackssinn. Das Auge isst mit.
10.
Fiona Teal
Portrait im FotoFix, 2020
11.
Max Nieberding
Haltung & Kommunikation Berlin Antwort auf „Waffenruhe“, „Ein-heit“ und Lebensmittel“
Michael Schmidts gezielter Einsatz seiner gestalterischen Mittel in Waffenruhe, Ein-heit, und Lebensmittel, sowohl in der Fotografie selbst als auch in deren Präsentation, fordern die Betrachter*in heraus die Werkgruppen zu rezipieren und sich selbst zu erschließen. Weil sie ihre Themen nicht einfach nur abbilden, sondern deuten. Eine beschriebene Wand ist hier nicht mehr nur Architektur, sondern Meinungsträger. Ein Nietengürtel wird zum Statement. Die Menschen und ihre Selbstdarstellung, sowie Schriften und deren Darbietung im öffentlichen Raum, erheben sich vom Beiwerk einer Dokumentation der Begebenheiten zu Fokus und Werkzeug einer gezielt psychografischen Auseinandersetzung mit der Stadt Berlin. Diese assoziativ seriellen Werke gaben den Anstoß für meine Arbeit über nonverbale Kommunikation und Positionierung der Menschen in den zeitgenössischen Umbrüchen Berlins.
12.
Frauke Joana
ARES (2020)
Antwort auf Michael Schmidts ‚Frauen‘
Die Serie ‚ARES‘ (2020) ist eine Antwort auf Michael Schmidts Arbeit ‚Frauen‘, die mit überspitzter weiblicher Zärtlichkeit ein vermeintliches Junge-Frau-Sein kategorisiert. Die Selbstverständlichkeit, mit der Männer sich am weiblich gelesenen Körper bedienen, irritiert mich. Die Antwort auf diese Arbeit ist auch eine Antwort auf eine Begegnung mit einer Gruppe junger männlich gelesener Personen. Diese spielen draußen Schnick-Schnack-Schnuck. Der Gewinner schlägt dem Verlierer auf den Bauch oder drückt eine Kippe auf dessen Bein aus. Ich möchte den Abdruck zeigen, den sie aufeinander hinterlassen haben.
13.
Katrin Theissen
„this is not the paradise they told us we would live in“
Der Himmel taucht Landschaft in schattenloses Licht, macht Zerstörung weich und Mimik hart. Es ist still und irgendwie auch kalt. Es ist unübersichtlich und gleichzeitig ganz klar. Ich stelle mir Fragen. Er stellt mir Fragen. Fragen, die ich nicht beantworten kann. Wo stehe ich? Was mache ich hier eigentlich? Und ist das alles hier nicht zum Scheitern verurteilt? Was in mir bleibt ist ein Gefühl der allgegenwärtigen Melancholie, der Enttäuschung über den vorgefundenen Zustand der Welt und die damit verbundenen Konsequenzen für mich, das Individuum in der Gesellschaft. Die Konfrontation mit überfordender Perspektivlosigkeit, mit unbeweglichem Stillstand und der Angst vor dem unaufhaltsamen Untergang.
14.
Frank Schumacher
Ein Ausschnitt der in 2022 erscheinenden Erzählung »Gegenwart mono«
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