Installation mit Audio Delay
Oranienstraße 173 & 175
Audio Delay zu Geschäftszeiten von Farben-Kacza
Mo, Di, Do, Fr von 8:15 – 13 Uhr sowie 14 – 18 Uhr
Mi von 8:15 – 13 Uhr, Sa von 9 – 13 Uhr
sowie nach Vereinbarung (post@moosbrugger.info)
Nichts wäre subversiver auf einer städtischen Straße als Aufmerksamkeit. Die Fassaden links und rechts sind die Kulisse unserer Ignoranz, aus der wir für Augenblicke betäubt erwachen wie im OP-Saal aus der Narkose, unangenehm berührt durch einen Luftzug oder die Anstrengung der eigenen Wahrnehmung. Danach ziehen wir uns wieder zurück in einen Strom lautloser innerer Monologe. Wortfetzen, Bewegungen, Farben schmelzen zusammen und bilden die Wandung eines Transittunnels, durch den wir im urbanen Raum gleiten. Die eingeübte Fähigkeit, uns durch nichts irritieren zu lassen, teleportiert das lauernde Elend und Chaos um uns herum an die diffusen Ränder unseres trägen Bewusstseins. Das Schlimmste wäre, wenn die Dinge uns zweimal begegneten. Wenn sie eigenmächtig zu insistieren begönnen. Wenn die Stimmfragmente und das Bremsgeräusch dort drüben uns noch einmal einholen würden. Wenn die Dinge, statt zurückzubleiben, uns überholen würden. Was, wenn das Murmeln im Vorübergehen unser eigenes wäre?
Alexander Moosbrugger hat eine Lücke in den Tunnel geschlagen. Er hat die vereinbarte Bedeutungslosigkeit der Kulisse außer Kraft gesetzt. Für die Installation En passant demontiert er die stets unveränderte Schaufensterauslage des seit unvordenklicher Zeit in der Oranienstraße ansässigen Souterrainladenlokals Farben-Kacza, um sie einige Meter straßenabwärts sorgfältig im Ausstellungsfenster des SOX nachzubauen. Dort steht das Transplantat als Bühnenbild für Farbgebinde in dem viel zu großen Rahmen wie mit einem überweiten Leihanzug bekleidet und bedeutet – nichts. Nur sein Standort ist plötzlich nicht mehr gewiss. Wie ein Mitläufer unseres Bewusstseins ist die Dekoration uns nachgefolgt und nistet sich im falschen Fenster ein wie die Wiederkehr des Verdrängten. Das Nichtgesehene will gesehen werden. Dabei wird es von einer Klangübertragung begleitet, die Moosbrugger am ursprünglichen Standort der Schaufensterauslage aufgenommen hat und mit siebzehnsekündiger Verzögerung an den Ausstellungsort überträgt. Dort hören wir, was wir eben schon hätten hören können. Lärm. Uns. Was wir gerade sagten oder was sonst zu vernehmen war, als kämen wir an unserem eigenen, wenige Sekunden alten Bewusstsein als Passanten vorbei.
Bei Farben-Kacza hingegen schaut eine Fotografie des leer den Straßenraum spiegelnden SOX-Fensters die Vorübergehenden an. Das ist ein ärmlicher Ersatz für eine Farbpalette, die die Welt verändern könnte. Aber die Welt ist bereits verändert. Sie ist eine Wiedergängerin aus wenigen Sekunden Klang und wird uns folgen, bis wir aus der Schleife treten. Stehenbleiben, um zu hören. Sprechen oder stürzen. Oder uns entschließen, den inneren Monolog an der Straßenecke zu deklamieren.
Gerrit Gohlke
Alexander Moosbrugger dankt Stefan Brunner, Friederike Feldmann, Gerrit Gohlke, Farben-Kacza, Manuel Kirsch, Uwe Lockner, Christof Nardin, Jens Ziehe, dem SOX-Team.