Es geht weiter ohne Pause, das ist wichtig für den Kiez. Wir geben das SOX diesen Sommer ab. Hätte ich nicht gedacht, aber Marlene und Björn haben mich gefragt, ob ich nicht was machen will und ich habe sofort nein gesagt, so was mach’ ich nicht, das ist völlig daneben, einfach nur unpassend, respektlos der ganzen Arbeit gegenüber, die wir uns immer gemacht haben; damit, wen wir ausstellen und warum. Was war gerade im Schaufenster und wie hat es mit der Straße und den Menschen kommuniziert oder auch nicht, das ist uns wichtig.
Eigentlich würde ich jetzt gerne so tun, als ob ich mich an jede Ausstellung und ihre Vorbereitungen erinnere und amüsante Anekdoten zu den 63 Operationen am öffentlichen Straßenalltag erzählen. Aber ich tue es nicht, weil ich schon die ganze Zeit auf der Website schauen muss, wer wann ausgestellt hat und ob das überhaupt stimmt, was ich schreibe. Es stimmt nicht, oft hatten wir keine Ahnung, wer als nächstes ausstellt, und bekamen unglaublichen Stress und je enger die Künstler*innen aus dem Freundeskreis kamen, desto weniger Zeit hatten sie für die Ausstellungsvorbereitungen. Marlene und Björn waren auch ganz spontan an der Reihe. Nach der Absage von Eberhard Bosslet, mit dem wir eigentlich ein Postcode 36 und 36 Jahre SOX Jubiläum machen wollten, hat er uns kurzfristig eine Winterpause verschaffen wollen, aber dann hat Björn sein wundervolles Memory gezeigt. Bei Marlene weiß ich nicht mehr, was da schief lief und wodurch wir die Off Seasonal Pilgrimage erleben durften. Und aus Gründen der Gleichbehandlung habe ich ebenso noch keine Ahnung, was ich mache, und werde das erst am Tag der Eröffnung entscheiden und aufbauen, das macht es spannender für mich und ist fair den anderen gegenüber.
Es geht darum etwas zu tun. Weitermachen ist politisch; eine Radikalisierung der Toleranz, deren Wesen es ist, auch mal Raum für Neues zu geben und die dadurch immer Gefahr läuft, der unscharfen Wiederholung und des fahlen Selbstbetrugs ein sinkendes Niveau zu gestatten. Wann bekommt man schon die Gelegenheit etwas zu tun, das man verabscheut und dennoch niemandem schadet, kein Verbrechen ist und auch noch Spaß macht. Ich habe so viele mehr oder weniger schwachsinnige Ratschläge gegeben bei den ganzen Ateliergesprächen, wo es darum ging, etwas auszuprobieren, den Raum als Experimentierfeld zu nutzen und Fehler zuzulassen.
Bei der ersten Ausstellung mit Lennart Rieder 2016 haben wir uns für die Umsetzung einer Skizze entschieden, in der Bilder an der Wand hängen, deren Farbe in den Raum läuft, der sich damit langsam auffüllt. Es war Januar und minus 10 Grad, scheiße kalt und natürlich trocknete nichts, es hat nicht funktioniert und Lennart strich kurz vor der Eröffnung das Fenster von außen mit rosa Farbe. Die Farbe gefror am Glas und es bildeten sich unendlich schöne Eiskristalle, die hinterleuchtet einem Wunder der Malerei gleichkamen. Lennart wollte am Tag der Eröffnung die Ausstellung verschieben; ich natürlich nicht, es war unsere erste Ausstellung im SOX, nachdem wir es von Alexander und Benedikt übernommen hatten. Am Abend funkelten die Eiskristalle an der Scheibe und ich erzählte, wie wunderbar die Ausstellung geworden ist. Ein wirklich guter Start. Lennart erzählte, wir seien jetzt nur wegen des Glühweins und vielleicht auch wegen den Eiskristallen hier, die Arbeit sei nächste Woche zu sehen. So war es auch. Er machte alles nochmal neu und es funktionierte, wie er es sich vorgestellt hatte.
Es fühlt sich an wie beim Häuten der Zwiebel; ich sollte sofort aufhören diesen Text zu schreiben, was war und wie es sich anfühlt. Einfach eine Ausstellung machen und leise Adieu sagen, das wäre ein guter Plan. Auch mal fremden Händen und Geistern Vertrauen schenken. Im Dialog die Ideen zerlegen. Welt und Atelier verschmelzen und ins SOX gießen.
Dieser Text macht es am allerschlimmsten und daher passt er gut zu der Ausstellung. Superaufwändig war das mit dem auslaufenden Bild im Januar 2016, der Titel war Fluss und uns stand es schon bis zum Hals. Aber jetzt war unterschrieben und wir machten weiter.
Marlene holte bald Björn mit ins Boot, das war eine sehr gute Entscheidung. Mit Björn gab es mehr Struktur und die Einladungen gingen pünktlicher raus. Wir überlegten uns, was wir mit den Ausstellungen im SOX bewirken wollten und ob wir ein Manifest brauchen. Wir waren uns einig, dass es keine Regeln, außer die der Künstler*innen und der Straße gibt. Provokante Gesten wollten wir nicht. Es sollte an den Grenzen der Kosmen stattfinden, in denen die Künstler*innen arbeiten und nicht das, was die emotional instabile Straße uns sowieso schon tagtäglich abverlangt. Wir finden die Downer gut, die den Stadtpuls senken.
Die Neuen werden es anders machen. Mit den Neuen meine ich Marie Lempelius, Paula Breuer und Lars Unkenholz. Nur zweimal wurde die Scheibe eingeschlagen – wo soll ich anfangen, also der Glaspreis hat sich verdreifacht, das sagt schon alles.
Wir müssen die unkommerziellen Projekträume unterstützen, damit sie weiter machen, die Situationen der Straße sezieren, die Künstler*innen fördern, nichts zurückhalten, das Tempo selbst bestimmen, die Unsicherheit stabilisieren und das Leben am Vorbeigehen stören, indem zufällige Besucher*innen vor dem Schaufenster stehen bleiben, und der Kunst die Chance geben, nicht Kunst sein zu müssen.
Schlechter hätte es am Ende nicht laufen können, genau das wollte ich vermeiden, mich richtig wichtig nehmen. Marlene und Björn schauen mir kopfschüttelnd zu und sagen dann am Tag der Eröffnung, du musst das nicht machen, hättest du was gesagt, dann hätten wir es anders gemacht. Ich habe ja gesagt, dass ich keine Lust habe, in unserem Projektraum auszustellen, dass es falsch ist und absolut respektlos der ganzen Arbeit gegenüber, die wir uns immer gemacht haben… Nur ein Genre, wofür ein Schaukasten prädestiniert ist, kam meiner Meinung nach zu kurz. Sascha Brylla hat es in seiner Show Grand Paradiso einmal märchenhaft zerstört: das Diorama.
Wir grillen und es gibt Getränke. Kommt gerne zufällig vorbei!