Inge Mahn

Regal

11.11.2016 – 01.01.2017

Regal
Zur Vitrine von Inge Mahn im Sox Oranienstrasse

Inge Mahns Etagenbett in der Vitrine von Sox könnte Heimatlosen, Herumgetriebenen, Verstoßenen, Flüchtenden und Erschöpften einen Ruhepol geben. Diese enge Ruhe-Oase bleibt hinter dem Vitrinenglas unerreichbar, bleibt ein Symbol, eine Metapher, eine Skulptur. Das Komische und das Tragische als die permanente bedrohliche Fallhöhe im Leben des Menschen liegen in Inge Mahns Werk eng beieinander. Die Künstlerin betrachtet ihre Skulpturen als „Haltepunkte“ im Zwischenbereich, Widerspruch ist hier nicht störend, sondern ist Ergänzung, zeigt offene Möglichkeiten, Bewegung, Veränderbarkeit. In Inge Mahns eigenen Worten wird dieser Spannungszustand so formuliert: „Ich ordne, um zu begreifen, oder besser: Ich versuche die Ordnung, die hinter den Dingen steht, zu erfassen. Ich will die Zusammenhänge wissen, will hier Ordnungen erfahren, die ich vermute: Ordnungen die unseren Übereinkünften widersprechen oder sie außer Kraft setzen und die trotzdem miteinander funktionieren.“

Inge Mahn lebt in Groß Fredenwalde in der Uckermark, wo sie für das Dorf ein Stallmuseum eingerichtet hat, das dem Dorfleben immer wieder neue Anstöße gibt. Sie war lange Zeit Professorin für Bildhauerei an den Akademien in Brauschweig, Stuttgart und in Berlin Weißensee. Inge Mahn greift in bestehende Raumsituationen ein und erweitert sie konzeptuell und real. Vor drei Jahrzehnten ergänzte sie – um ein einzelnes früheres Werk aus der unmittelbaren Nachbarschaft der Sox-Vitrine anzuführen – im Künstlerhaus Bethanien im Ausstellungsraum die tragende Säule durch weitere drei angebundene Säulen aus Gips zum “Säulengebinde”, hebelte die Statik gewissermaßen aus. Man kann bei ihrem Werk von “sozialer Plastik” sprechen, denn die Werke greifen immer wieder bestimmte Lebenssituationen auf, orientieren sich an Gegenständen des Alltags, inspirieren sich an deren insgeheimer Poesie. Roland Barthes hat solche zeitgenössischen “Mythen des Alltags”, die das Dasein wie eine zweite Natur prägen, einst zu definieren gesucht und beschrieben. Die Bildsprache von Inge Mahn porträtiert auf verwandte Weise den Alltag, analysiert, verfremdet und verändert ihn künstlerisch bis hin zur Groteske. Inge Mahns eigene Beschreibung ihrer neuen Arbeit läßt den weiten assoziativen Raum, den die Vitrine öffnet, erkennen:

REGAL

Die Herkunft des Wortes ist unsicher, aber wahrscheinlich ist es ein Lehnswort aus dem Lateinischen, kommt von regere, das heißt: gerade richten, lenken, herrschen.

Ein Regal ist bekannt als Möbelstück, Bücherbrett, als ein mit Fächern versehenes Brettgestell zur Aufbewahrung von Waren, Geräten oder anderen Gegenständen.

Weniger bekannt ist das Regal, ein Musikinstrument des 16./17. Jahrhunderts. Das ist eine tragbare Orgel mit einem oder wenigen Registern. Durch handbetriebene Keilbälge werden Pfeifen hörbar.

Fast aus dem Sprachgebrauch verschwunden ist, daß das Wort auch (seit 1475) ein Hoheitsrecht meint, als „ein zierliches Schreibwort, um die Kunst der obrigkeitlichen Gesamtleitung zu bezeichnen“ (Grimms Wörterbuch)
Im Hoheitsrecht entfaltet sich noch heute Herrschergewalt auf verschiedenen Ebenen des staatlichen Lebens.

Gerade richten, lenken, herrschen, beinhaltet die Ausstellung im Sox in der Oranienstraße.
Der Schaukasten, 280 X 60 X 210 cm groß, wird zum Regal umfunktioniert.
Auf drei Ebenen lagern Textilien, die ausgebreitet an Betten, Etagenbetten, erinnern.
Die Töne des imaginären Schlafs sind nur durch Atembewegung sichtbar, und gehen im Straßenlärm unter.

Inge Mahn/ Stephan von Wiese, Oktober 2016

 

www.maxhetzler.com/artists/inge-mahn